Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Friedenpreis des Deutschen Buchhandels 2012

Der Friedenpreis des Deutschen Buchhandels wurde am 14. Oktober 2012 an den chinesischen Schriftsteller und Dissidenten Liao Yiwu verliehen. Ihm gelang auf dramatische Weise vor einem Jahr die Flucht aus China nach Vietnam. Heute lebt er als Stipendiat des DAAD in Berlin.

Liao Yiwu war 1989 verhaftet worden, nachdem er sein Gedicht „Massaker“ über den Platz des Himmlischen Friedens veröffentlicht hatte, das er – das schreckliche Ereignis fürchtend – einen Tag vor dem militärischen Angriff auf die Studenten geschrieben und auf Tonband aufgenommen hatte. Vier Jahre verbrachte er hinter Gittern, gefoltert und gequält wie seine Mitgefangenen. Danach schrieb er mehrere Bücher, die jedoch nur im Ausland erscheinen konnten. International berühmt wurde er mit „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“, 60 Interviews und Beschreibungen über das Leben derjenigen, die im heutigen China keine Stimme haben. 17 Mal wurden Einladungen aus dem Ausland abgelehnt, seine Reiseanträge abgewiesen. Im November 2012 nimmt er für sein Buch „Für ein Lied und hundert Lieder“, eine Chronik seiner Gefangenschaft, den Geschwister Scholl Preis 2011 in München entgegen. Seit Juni 2012 ist Liao Yiwu Gründungsmitglied der „Akademie für die Künste der Welt“ in Köln. Regina Wyrwoll traf Liao Yiwu bei der Gründungsversammlung. Er spricht bisher nur Chinesisch. Die Übersetzung verdankt Kulturpreise der Vorsitzenden des Unabhängigen chinesischen PEN (ICPC), Tienchi Martin-Liao.
 
Kulturpreise: Herr Liao Yiwu, die deutsche Resonanz auf die Verleihung des „Friedenspreis des Deutschen Buchhandel“ an Sie ist enorm. Was bedeutet Ihnen der Preis und können Sie sich vorstellen, was er für Ihre Kollegen in China bedeutet?
 
Liao Yiwu: Im Nachhinein habe ich erfahren, wie bedeutsam dieser Preis ist. All die großen Männer wie Albert Schweitzer, Hermann Hesse, Jürgen Habermas, Vaclav Havel etc. waren Preisträger. Die Ehre ist fast zu groß für mich. Die Nachricht ist auch nach China gedrungen. Meine Familie und Freunde haben sich darüber gefreut. Aber ihre erste Reaktion ist bestimmt: Was? Der alte Liao? Der ist doch einer von uns. So hat auch die chinesische Regierung reagiert. Was? Liao Yiwu? In unseren Augen war er ein Krimineller. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums kritisiert mich, ich hätte die Bücher nur geschrieben, um Sympathie im Westen auf mich zu ziehen. Nun, mein neueste Buch „Die Kugel und das Opium“, das in Oktober heraus kommt, ist über die Opfer des 4. Juni-Massakers. Da bin ich auf die Reaktion der offiziellen Stelle in China gespannt. Doch ich weiß, meine Landsleute und die Leser in Deutschland werden das Buch gut finden, denn die Vergangenheit ist auch die Gegenwart. Die schmerzliche Vergangenheit ist allgegenwärtig.
 
Kulturpreise: Können Sie uns sagen, wie Sie zu Ihrem außergewöhnlichen Stil, der genauen Beobachtung und des intensiven niedergeschriebenen Gesprächs gefunden haben?
 
Liao Yiwu: Die Realität ist viel dramatischer als jede Erfindung. Die vierjährige Erfahrung im Gefängnis war eine Reifungsprüfung für mich. Viele Zellengenossen haben mir ihre Geschichte erzählt. Ich musste meine bisherige Gedichtschreiberei zu Seite legen und das Genre der Reportageliteratur benutzen, also Interviews und Gespräche. Das habe ich fortgesetzt, als ich wieder draußen war. Ich habe mich unter die untersten sozialen Schichten gemischt und mich mit den Leute angefreundet, so dass sie mir ihr eigenen Geschichten erzählt haben.
 
Kulturpreise: Was wünschen Sie sich von der neu gegründeten "Akademie für die Künste der Welt", deren Mitglied Sie geworden sind?
 
Liao Yiwu: Der Name der Akademie sagt schon viel aus. Ich wünsche, dass die Akademie eine Plattform für Leute aus verschiedenen Kulturen und Sprachräumen anbietet. So kann Köln zu einer internationalen Metropole werden, und die Stadt wird noch bunter und interessanter.

 

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