Radioqualität – ausgezeichnet in Leipzig

Axel-Eggebrecht-Preis - Günter-Eich-Preis

In der Einleitung zur 2. Auflage seines Klassikers "Rundfunk als Hörkunst" (1979) verweist Rudolf Arnheim auf Michel Butor's Auffassung, dass der Fokus auf "die klanglichen Eigenschaften der Sprache" im Hörfunk es nahelegen, "den Text für eine Sendung wie eine Musikpartitur zu behandeln". Sind solche Vorstellungen in Zeiten eines allgegenwärtigen Dudelfunks noch zeitgemäß? Was können Preise zur Wiederbelebung von Qualität im Rundfunk beitragen? Wolfgang Schiffer im Interview mit Regina Wyrwoll....

Herr Schiffer, Ihr ganzes Berufsleben war dem Radio gewidmet. Gibt es nach Ihrer Erfahrung signifikante Ost-West-Unterschiede in der Radio-Rezeption, speziell seit der deutschen Wiedervereinigung? Und welche Rolle spielt dabei Radiokunst, die sie ja lange beim WDR mitverantwortet haben?

Nun, zunächst muss man wohl feststellen, dass sich infolge der digitalen Beschleunigung, die die Welt in den letzten Jahren erfahren hat, die Radio-Rezeption völlig unabhängig von der Wiedervereinigung grundsätzlich verändert hat: Programm-Streaming, Download-Angebote, Mediatheken usw. lassen inzwischen in wachsendem Maße ein zeit- und ortsunabhängiges Hören auch der klassischen Radioangebote zu, das gerade mit Blick auf längere Programmstrecken, wie sie die Radiokunst in der Regel erfordert, die Nutzer in allen Teilen Deutschlands gleichermaßen erfreut.

Wenn ich auf das lineare Angebot schaue, also auf die normale, mich über den Tag begleitende Ausstrahlung auf UKW, die auch den Inhalt für die genannten digitalen Rezeptionsmöglichkeiten liefert, so habe ich den Eindruck, dass das Radio – und hier insbesondere auch in seinen dezidiert kulturellen Facetten – in den neuen Bundesländern allerdings noch etwas intensiver genutzt wird als in den alten. Die Möglichkeiten, sich über Buchrezensionen, Lesungen, Radio-Feature, Hörspiel usw. intellektuell unterhalten zu lassen und Neues zu erfahren, werden nach wie vor hoch geschätzt. Dabei, auch so wiederum mein Eindruck, ist insbesondere das Hörspiel in den neuen Bundesländern traditionell mehr dem akustisch-literarischen Wort verpflichtet, als es im Westen der Fall ist, wo Einflüsse aus anderen Künsten, insbesondere aus den mit Musik und Pop-Kultur verbundenen, ein zunehmendes Gewicht gefunden haben. Schön ist jedoch, dass sich diese unterschiedlichen Ausrichtungen durch das Netzwerk des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nun in den jeweiligen Programmangeboten der einzelnen Sendeanstalten in Ost und West "mischen" – das heißt, dass allen Rezipienten das gesamte Tableau der künstlerischen Möglichkeiten des Radios zur Verfügung steht. Nicht weniger als der durch das Radio geleistete Informationstransfer über Spezifika der einzelnen Regionen Deutschlands in Politik und Gesellschaft, der so vor 25 Jahren natürlich nicht gegeben war. 

Sie beraten eine ganze Reihe von Hörfunkpreisen, darunter auch den Axel-Eggebrecht-Preis und den Günter-Eich-Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig. Mit Günter Eich, so wird gesagt, haben sich ganz neue künstlerische Dimensionen für das Radio aufgetan: Das müsste vielleicht erläutert werden…

…Beraten ist wohl ein zu starkes Wort für meine Tätigkeit. Zur Zeit gehöre ich u. a. der Jury in der Kategorie Wort beim Preis der Deutschen Schallplattenkritik an und habe es hierbei immer dann mit Hörfunk und dessen Preisen zu tun, wenn für das Radio hergestellte Wort-Produktionen den Weg auf einen in der Regel von Hörbuchverlagen vertriebenen Tonträger gefunden haben oder, wie im Fall des von mir sehr geschätzten "Hörspielparks", einer Internet-Vertriebsinitiative, von Radiokunst-Machern selbst zum Kauf angeboten werden. Dem Axel-Eggebrecht-Preis, dessen Jury der österreichische Radio-Feature-Experte Richard Goll vorsteht, bin ich durch meine derzeitige Beiratstätigkeit für Hörfunkpreise in der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig verbunden, beim Günter-Eich-Preis habe ich im Augenblick selbst das Vergnügen der Zusammenstellung und des Vorsitzes der Jury, die über die Preisvergabe an eine Persönlichkeit entscheidet, die sich um das Hörspiel verdient gemacht hat.

Dass dieser Preis den Namen des Dichters und Hörspielautors Günter Eich trägt, hat schon Signifikanz. Günter Eich ist ja nicht nur durch seinen Lebensweg der Stadt Leipzig verbunden, er hat nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tat die Hörspiellandschaft maßgeblich geprägt, indem er das Wort nicht nur aus üblichen Genre-Zuordnungen, sondern nach der Erfahrung des Nazismus vor allem (wie übrigens auch in seiner Lyrik) aus jeglicher ideologischen Verhaftung zu befreien suchte und ihm einen allein für die Kunstform des Radios gültigen Ton gab. Sein 1951 produziertes Hörspiel "Träume", das seinerzeit heute kaum noch vorstellbare Medien- und Zuhörer-Reaktionen auslöste, ist hierfür ein Beleg und bleibt für mich in seinem poesie-geladenen und zugleich von radikaler Skepsis geprägten Weltbild nach wie vor eines der gewichtigsten (und modernsten) Radiowerke in der Geschichte des deutschen Hörspiels. Nicht umsonst spricht man heute noch häufig vom "Eich"-Maß, wenn es um originäre Qualität des Hörspiels geht.

Und wenn man einen Blick in Günter Eichs Korrespondenzen, vor allem mit den verschiedenen Dramaturgien der damals ja bereits föderal strukturierten Rundfunkanstalten wirft, so lässt sich – wenn man so will – auch sagen: er hat die Arbeitsbeziehungen zwischen Hörspielautoren und Hörspielredaktionen in einem Maße "professionalisiert", das heute noch nachwirkt.

Welche Bedeutung haben Preise für den Hörfunk, für journalistische und künstlerische Programme, z. B. Hörspiel? Wirken sie auf das Radio zurück oder sind sie nur eine Trophäe im Schrank der Macher?

Zum Glück beides! Den Machern, also in der Regel freischaffenden Journalisten, Schriftstellern usw., sind sie bei einer finanziellen Ausstattung neben der Hilfe in ihrer oftmals ja ungesicherten Existenz vor allem Anerkennung für ihre mit großem Aufwand betriebene Arbeit und Motivation, ihr künstlerisches Potential weiter zu nutzen und zu entwickeln – und in den Redaktionen der Hörfunkanstalten gelten derlei Auszeichnungen von "außen" zumeist doch als eine Art Qualitätssiegel, so dass man die Produktionen aufmerksam diskutiert und an ihnen die eigenen ästhetischen und technischen Standards auslotet. Selbstverständlich entbrennen darüber auch Kontroversen – das ist angesichts der freundschaftlichen Konkurrenz, in der die jeweiligen Redaktionen, die alle ihre eigene Handschrift zu prägen suchen, miteinander stehen, nur natürlich; häufig ist es jedoch so, dass die ausgezeichneten Produktionen dennoch auch von anderen als den ursprünglich produziert habenden Programmen übernommen und gesendet werden, was sich wiederum positiv auf die finanzielle Lage ihrer Urheber auswirkt.  

Die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig hat sich 2007 zu den beiden genannten Preisen für anspruchsvolle Radiogenres entschlossen und damit dieses eher mager bestellte Feld in der Preislandschaft ergänzt – der Deutsche Radiopreis fokussiert ja z.B. eher auf locker-flockige Kategorien. Sind programmatische Namen wie die des Journalisten Axel Eggebrecht und des Schriftstellers Günter Eich schon eine Garantie für entsprechende öffentliche Wahrnehmung oder unterliegen auch solche Preise einem Verfallsdatum?

Bereits seit 2001 vergibt die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig im Bewusstsein und in der Tradition der Rolle, die die Stadt Leipzig in der friedlichen Revolution in der DDR 1989 inne gehabt hat, den "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien". Diesem Preis sind später die "Talent-Taube" für den besten Dokumentarfilm eines Nachwuchstalents des Leipziger Dokfilm-Festivals sowie die beiden genannten Hörfunkpreise hinzugewachsen, die im jährlichen Wechsel vergeben werden. Sie alle zusammen firmieren unter "Leipziger Medienpreis".

Hierbei freue ich mich besonders über den "Axel Eggebrecht Preis" für ein substantielles Oeuvre im Bereich des Radio-Feature. Anders als beim Hörspiel, zu dem es bereits eine Vielzahl an Preisen gibt (Hörspielpreis der Kriegsblinden, Der Deutsche Hörspielpreis, Hörspiel des Monats, Hörspiel des Jahres usw.) sind diesem Genre nämlich bislang national kaum spezifische, das Genre selbst in den Mittelpunkt stellende Auszeichnungen gewidmet.

Beiden Preisen ist als Alleinstellungsmerkmal gemeinsam, dass sie nicht für eine einzelne Produktion vergeben werden, sondern an Radio-Schaffende, die mit einem von hoher Kontinuität geprägten Werk Maßstäbe gesetzt haben in der Fortentwicklung eines vielstimmigen Repertoires der jeweiligen Gattung.

An derlei Maßstäbe erinnern natürlich die Namen Axel Eggebrecht und Günter Eich – eine Garantie für eine breitere öffentliche Wahrnehmung sind sie aus meiner Sicht dabei jedoch leider nicht, weil das Wissen um ihre Bedeutung für Radiojournalismus und Radiokunst, so fürchte ich, heute oft nur noch in den sogenannten Fachkreisen klar ausgeprägt ist. Die heute ausgezeichneten Autoren und ihre Werke müssen jeweils wieder aus sich selbst heraus aufs Neue überzeugen – das ist auch der Anspruch der Preisvergaben, mit denen sich dann im Glücksfall auch ein Stück Erinnerungsarbeit an die Verdienste der beiden Namensträger verbindet.

Wir wissen alle, wie wichtig Kulturpreise als Förderinstrumente für die Kulturberufe sind und – dank dieses Portals bzw. früher des "Handbuchs der Kulturpreise" – dass sich in Deutschland eine reiche, allerdings eher kleinteilige und wenig übersichtliche Struktur entwickelt hat. Hat die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig ein Konzept gefunden, das ihren Preisen eine größere Öffentlichkeitswirksamkeit verschafft – bei gleichbleibender Qualität?

Die Qualität ist und bleibt gesichert, das garantieren allein schon die unabhängigen, fachlich stets höchst qualifizierten Jurys – das Konzept, um eine größere Öffentlichkeitswirksamkeit zu erreichen, hingegen wird derzeit einer optimierenden Revision unterzogen! Dies ist auch notwendig, denn aus meiner Sicht sind insbesondere die beiden Hörfunkpreise noch nicht in dem Maße in der öffentlichen Wahrnehmung "angekommen", wie sie und vor allem die Preisträger es verdienten. Dieses Defizit ist jedoch weniger der Medienstiftung selbst anzulasten als vielmehr im weitesten Sinne den externen Medien, die den Preisen bisher nur eine eher marginale Aufmerksamkeit haben zukommen lassen. Da es sich um Hörfunkpreise handelt, ist hier zu einer Verbesserung der Situation natürlich zunächst einmal das Medium Radio selber gefordert – aber auch die Medienseiten und Feuilletons vor allem überregionaler Zeitungen könnten hier eine gewichtige Rolle spielen. Sie sind jedenfalls herzlich eingeladen!

Mit Blick auf das, was vor Ort die Medienstiftung selbst tun kann, um die Preisträger einem größeren Publikum bekannt zu machen, ist bei den Konzept-Überlegungen eine erste Entscheidung bereits gefallen: Während die Preisverleihungen in der Vergangenheit zumeist als Einzelveranstaltungen stattfanden, zu denen besonders eingeladen wurde, werden sie künftig integraler Bestandteil des jährlichen Sommerfestes der Medienstiftung sein. Hier, im Beisein von mehreren hundert Persönlichkeiten aus Kultur, Gesellschaft und Politik, kommt den jeweiligen Preisträgern oder Preisträgerinnen dann ein Status als Ehrengast zu, verbunden mit einem Programmauftritt, der den Verdiensten um die Radiokunst, um die "Königsklassen" des Hörfunks, entspricht. 

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