Design-Vielfalt und Qualität: Über Trophäen hinaus

Michael Erlhoff zu Design-Auszeichnungen

Michael Erlhoff, renommierter Designexperte und Kunsttheoretiker, war Gründungsdekan der Köln International School of Design und arbeitete dort bis 2012 als Professor für Designgeschichte und -theorie. Zusammen mit Uta Brandes leitet er heute be design, eine Beratungsagentur für designrelevante Projekte und Themen, ist zudem als Autor und Redner international aktiv. Sein KULTURPREISE-Gespräch mit Regina Wyrwoll geht zunächst auf die gesellschaftliche Bedeutung von Design ein und bietet dann einen kritischen Überblick zu Design-Preisen.

Regina Wyrwoll: Herr Professor Erlhoff, Sie haben fünf Jahre lang den Rat für Formgebung/German Design Council geleitet und dann 1991 den Kölner Fachbereich Design, heute Köln International School of Design (KISD) gegründet, wo Sie mehr als 20 Jahre gelehrt haben. Dabei haben Sie am Wandel der Rolle von Design in unserer Gesellschaft aktiv mitgearbeitet. Bevor wir auf die Preise zu sprechen kommen: können Sie uns in wenigen Worten den Begriffswandel des Designs erläutern?

Michael Erlhoff: Ja, da hat sich wirklich sehr viel und dies auch radikal verändert. Glaubte man doch einst, Design sei etwas Besonderes, eher reduziert auf Möbel, Mode, Automobile und eventuell noch Geschirr und dergleichen. Also etwas für die reicheren Menschen. Zwar wurde auch in den fünfziger und sechziger Jahren über die Relevanz der Funktion durch Design nachgedacht und gearbeitet, allerdings mit einer sehr reduzierten, eben bloß unmittelbar praktischen und lediglich abstrakten Vorstellung über Funktion, mitsamt jeglicher Ablehnung einer Diskussion über die Ästhetik des Alltäglichen.
Mittlerweile – und dies geschah etwa in den vergangenen zwei Jahrzehnten – haben (übrigens auch international) etliche Unternehmen, manche öffentlichen Institutionen und viele Menschen zusehends begriffen, wie heftig unser Leben in allen Bereichen und auch in der Entwicklung von Ökonomie, Technologie, Ökologie und ohnehin Kultur durch Design geprägt wird. Denn Design formuliert alle Objekte, kommunikativen Mittel, Veranstaltungen, öffentliche Präsenz und damit verbunden auch Verhaltensweisen der Menschen und sowohl die Wahrnehmung als auch den Gebrauch all jener Objekte und Vorgänge. Mit dieser neuen Aufmerksamkeit verbindet sich einerseits eine umfangreichere öffentliche Diskussion über Design ebenso wie andererseits sehr viel intensivere – und zum Teil sogar durch Unternehmen geförderte – Forschung über den Gebrauch all der gestalteten Objekte, Medien und gesellschaftlichen Vorgänge. Dass auch in diesem Kontext gelegentlich Unsinn geschieht, dass beispielsweise inzwischen sehr viel Werbung und Marketing mit dem Hinweis auf Design versehen wird (bis hin zu "Nägel-Design", "Brötchen-Design" und dergleichen), schadet dem Design nicht wirklich, schafft vielmehr zusätzliche Öffentlichkeit und die Möglichkeit einer aufklärerischen Kritik.
Übrigens hat sich vernünftigerweise in diesem Prozess auch die Kategorie der Funktion verändert, nämlich in Richtung auf die Wirklichkeit des Gebrauchs. Damit werden zum Beispiel die emotionalen Besetzungen, die Adaption von Identität oder die Gestaltung von Verhaltensweisen im Design erörtert und erforscht.
Schließlich wurde von Design mit angeregt – gegenwärtig völlig berechtigt und notwendig – über Konvergenz und über den inhaltlichen Zusammenhang von Wissenschaften und insgesamt von Analysen der Realität zu diskutieren. Denn eine Qualität von Design besteht auch darin, Spezialisierungen radikal zu kritisieren: sowohl innerhalb des eigenen Metiers als auch insgesamt in den Wissenschaften und im öffentlichen Diskurs.

RW: Kommen wir nun zu den Preisen: Werden die existierenden Preise der von Ihnen beschriebenen, doch sehr umfassenden Bedeutung des Designs in unserer Gesellschaft gerecht?

ME: Nein, viel zu viele der Design-Preise orientieren sich immer noch an längst überholten Vorstellungen, disziplinieren dabei das Design immer noch in das von Produkten, Kommunikation, Mode und dergleichen. Dabei wird schon am Beispiel von Mode deutlich, dass die sowohl mit Material oder neuen Materialien unabdingbar zu tun hat als auch mit Kommunikation (man versucht, anderen durch die Kleidung etwas über sich selber mitzuteilen), mit der eigenen Befindlichkeit, mit Werbung und so weiter. So reduziert man fälschlich das so komplexe Design auf banale Einzelheiten.

RW: Welche Rolle spielen die sogenannten "Marketingpreise" wie z.B. red dot oder iF, die unübersehbar eine kommerzielle Ausrichtung haben?

ME: Tatsächlich dominieren internationale Preise wie "iF" und "red dot" (interessant übrigens, diese beiden englischen Wörter einmal jeweils rückwärts zu lesen). Dabei hat schon vor einigen Jahren der einstige Präsident von "red dot", Klaus Jürgen Maack (damals Unternehmer von ERCO), alle Unternehmen aufgefordert, an diesem Preis nicht teilzunehmen.
Diese Preise haben inzwischen ihren Erfolg insbesondere asiatischen Unternehmen zu verdanken, die bekanntlich sehr Trophäen-orientiert sind und diese als Auszeichnung von Qualität erachten. Insofern sind dies, vor allem in Asien, tatsächlich noch die einflussreichsten Design-Preise.

RW: Sicher gibt es auch bei den Designpreisen wichtige und weniger wichtige. Welche sind in Ihren Augen die wichtigsten?

ME: Wenn wir über die "Besten" unter den Design-Preisen sprechen, dann ist sicherlich nicht über die eben genannten, sondern zum Beispiel über den "Designpreis der Bundesrepublik Deutschland" (gestiftet vom Bundeswirtschaftsministerium) zu sprechen, der allerdings ausschließlich deutsche Entwürfe und Produkte auszeichnet. Dies aber mit einer enormen Offenheit und im Bewusstsein davon, selber Zeichen zu setzen und gegebenenfalls auch die deutsche Industrie herauszufordern zu neuen Perspektiven und zu innovativer Gestaltung. Da wird wirklich mehr und klüger riskiert und wird die Komplexität von Design bedacht und propagiert.

RW: Sie sind einer der Gründer des Kölner Design-Preises und des Kölner Design-Preises International, zu denen man jährlich Vorschläge einreichen kann. Welche Rolle spielen diese beiden Preise im großen Zusammenhang?

ME: Verständlicherweise sind diese beiden Auszeichnungen sehr wichtig für die Studierenden, die einen dieser Preise erhalten – denn das finanziert den Übergang von Studium in den Beruf. Womöglich allgemein viel wichtiger an diesen beiden Preisen jedoch ist, dass sie Maßstäbe setzen, Unternehmen ebenso wie Hochschulen und insgesamt Studierenden Hinweise darauf geben, was mit welchen Perspektiven derzeit an den Design-Hochschulen gelehrt und studiert wird und welche sehr anregenden und oft wirklich neuartigen Entwürfe – durchaus jeweils umsetzbar – erarbeitet werden. Also zwei wichtige Auszeichnungen, die mittlerweile auch von den Medien international wahrgenommen werden.

RW: An der Köln International School of Design gibt es seit 1996 auch einen Studentenpreis, den "Kölner Klopfer"; der scheint ja weltweit etwas Besonderes zu sein. Was wollen die Studierenden hier erreichen?

ME: Mit dem "Kölner Klopfer" werden alljährlich die global wichtigsten und besonders anregenden professionellen Designerinnen und Designer ausgezeichnet, nämlich von den Studierenden der KISD. Diese können jeweils eine Designerin oder einen Designer für den Preis vorschlagen, müssen ihren Vorschlag im Rahmen einer Vollversammlung präsentieren und verteidigen – dann wählen alle anwesenden Studentinnen und Studenten (das sind immer etwa 80 %) die Preisträgerin oder den Preisträger. Die werden dann persönlich zu einer Preisverleihung im Rahmen der KISD eingeladen, und diejenigen, die die Preisträgerin oder den Preisträger vorgeschlagen haben, halten dann auch die Laudatio.
Wichtig ist dies alles, den Studierenden ein Bewusstsein ihrer eigenen Kompetenzen und Relevanz zu vermitteln – zudem das Bewusstsein von der Bedeutung von Repräsentantinnen und Repräsentanten von eindrücklichem Design für dessen Entwicklung zu verstehen und so auch für die Vielfalt von Design zu werben.
Immerhin wurden bisher unter anderem ausgezeichnet: Anna Castelli Ferrieri, große alte Designerin aus Mailand, Motoko Ishii, die weltweit eindrücklichste Licht-Designerin aus Tokio, Dieter Rams, Stefan Sagmeister aus New York oder Ingo Maurer.

RW: Unter welchen Bedingungen taugen Design-Preise als Förderinstrumente?

ME: Gewiss, Förderpreise helfen beträchtlich zumindest denen, die nominiert oder gar ausgezeichnet werden. Denn das schafft Öffentlichkeit für ihre Arbeiten und auch für sie selber. Wirklich, wir bräuchten davon sehr viel mehr: Global ebenso wie in Deutschland.

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