Kulturnomaden: Reisen von Insel zu Insel

Gespräch mit dem Dichter Achim Wagner über Reise- und Aufenthaltsstipendien

Stipendien, insbesondere Reisestipendien und sog. "Residencies", sind sehr beliebt. Zudem sind sie ein häufiges und kulturpolitisch wichtiges Kulturförderinstrument für Künstler aller Sparten. Auch Schriftsteller profitieren von dieser Art der Förderung auf vielfältige Weise: sie leben eine begrenzte Zeit ohne grosse finanzielle Sorgen und sie empfangen – je nachdem, wo sich der Stipendienort befindet – oft wichtige Impulse für ihre künstlerische Arbeit. Der Dichter Achim Wagner hatte sich 2009 um ein Stipendium der Kunststiftung NRW im Atelier Galata in Istanbul beworben. Er  fährt auch heute noch öfter in die Türkei, um neue Landschaften und Orte zu entdecken. kulturpreise.de wollte wissen, wie seine geförderten Aufenthalte in Deutschland und in der Türkei genutzt wurden, welchen Effekt sie auf die künstlerische Produktion hatten und haben – kurz: ob die von den Stipendiengebern angestrebten Effekte auch wirklich eingetreten sind.

Regina Wyrwoll/Kulturpreise: Herr Wagner, können Sie uns helfen, das romantische Bild des Dichters, der träumerisch durch die Landschaft streift oder aber die Nächte in wilden Exzessen durch säuft, ein wenig zu korrigieren?

Achim Wagner: In der Frage sind zwei Bilder verknüpft, die wohl in der bürgerliche Vorstellung den Dichter noch zu charakterisieren scheinen, diese Vorstellung „idealisieren“; der Dichter als ein verträumter Einzelgänger in einsamer Natur oder der Dichter als absinthseliger Bohemien (im Rausch Richtung geniehafter Imagination).

Da es natürlich auch bei Dichtern und Dichterinnen sehr unterschiedliche Lebensentwürfe und somit soziale Muster gibt, kann ich nur über meinen eigenen Alltag schreiben, der wesentlich unspektakulärer ist, als dass er die permanente Nähe zu den Extremen sucht. Er bestimmt sich vornehmlich durch eine beinahe alltägliche hartnäckige Textarbeit, die beständigen Versuche, meine Imagination in Sprache zu fassen, dabei den Kopf klar zu halten, das Geschriebene permanent kritisch zu hinterfragen; auch die jeweiligen Themenfelder mittels Recherchen zu beleuchten, sich zu vergegenwärtigen, was es bereits Geschriebenes gibt, wie zuvor mit den Thematiken umgegangen wurde, auch welche theoretischen Äußerungen vorhanden sind.

Meine Ideen selbst finde ich weniger bei seltenen Waldspaziergängen, wenngleich ich diese sehr mag, wenn sie sich mal ermöglichen, eher beim Erkunden von urbanen Umgebungen, meinen bisherigen Wohnorten geschuldet, auch auf Reisen, die zu einem wesentlich Bestandteil meines Lebens geworden sind. Und dass ich ab und an im Rausch durchaus eine Qualität sehe, insbesondere um den Kopf zwischendurch mal völlig zu entleeren, mag ich am Ende der Antwort noch erwähnen, um das Eingangsbild nicht ganz zu zerstören; wilde Exzesse sind dann aber doch eher selten, etwas häufiger ist der schöpferische Müßiggang, das sich Treiben lassen aus der unmittelbaren (inneren und äußeren) Umgebung heraus.

Kulturpreise: Welches Stipendium war Ihr erstes und welche Rolle haben Stipendien in Ihrem Werdegang gespielt?

Achim Wagner: Mein erstes Stipendium war 2003 ein Residenzaufenthalt in der Berliner Stiftung Starke im Grunewald, wo ich in relativer Nähe zum Kurfürstendamm acht Monate lebte und schrieb.

Für mich sind Stipendien ein wesentliches Instrument, um meine Manuskripte unter halbwegs gesicherten materiellen Umständen bearbeiten zu können, schon deshalb nehmen sie eine sehr wichtige Rolle in meinem Leben ein. Auch die Kontakte, die sich aus den Stipendien heraus ergeben haben, sind mir zumindest zum Teil erhalten geblieben, im Privaten wie im Beruflichen. Aus den Stipendien gehen neben den eigenen abgeschlossen Manuskripten auch häufig Kooperationsarbeiten mit anderen Stipendiaten hervor, die aus eher spielerischen interdisziplinären Ansätzen resultieren, und mir immer wieder verdeutlichen, dass man bei aller sonstigen und wichtigen Ernsthaftigkeit auch einer künstlerischen Leichtigkeit Raum geben muss.

Kulturpreise: Welche Erfahrungen sammelt man in Stipendiatenhäusern? Und von welchen Erfahrungen wird man dort fern gehalten?

Achim Wagner: Wichtige gemeinsame Erfahrungen in den wohl allermeisten Stipendiatenhäusern resultieren aus dem Austausch der jeweiligen Stipendiaten untereinander, den Diskursen über Positionen, Herangehensweisen.

Welche Erfahrungen man machen kann, liegt natürlich zum einen an der jeweiligen Lage des Hauses selbst, meint: daran, wo es sich örtlich befindet. Natürlich sind die Erfahrungswerte, die ich in der Villa Waldberta im idyllischen Feldafing machte ganz andere als die, die sich aus meinem Aufenthalt im Atelier Galata in der großartigen Metropole Istanbul ergaben. Hier zeigt sich auch schon die geografische Bandbreite der Stipendiatenhäuser selbst, bisweilen in ländlicher Abgeschiedenheit gelegen, bisweilen in internationale urbane Zentren gesetzt, wobei ich beides sehr schätzen lernte.

Zum anderen spielt auch die Ausrichtung des jeweiligen Stipendiatenhauses eine wichtige Rolle, wie viele Stipendiaten sich gleichzeitig dort aufhalten, ob es international oder national vergebene Stipendien sind, ob es ein reines Literatenhaus ist oder ein gemischtes Künstlerhaus; auch wie das Haus geleitet wird, welcher Ansatz verfolgt wird; und wie man mit einem derartigen Stipendium umgeht, ist selbstverständlich auch eine individuelle Frage, was man als Stipendiat, Stipendiatin aus seinem Aufenthalt macht.

Die angesprochene Ortslage bestimmt wohl hauptsächlich, wovon man eventuell fern gehalten wird. Im Künstlerdorf Schöppingen finde ich natürlich nicht das urbane Leben Berlins, New Yorks, Mumbais oder Istanbuls, habe aber dafür ein Refugium, das wunderbar ist, um zum Beispiel konzentriert ein Manuskript abschließen zu können. Ansonsten sind Stipendiatenhäuser generell Inseln; man kann sich immer wieder ins „Behütete“ zurück ziehen; insofern stellt ein Aufenthalt in ihnen eine Ausnahmesituation dar, was bisweilen ja auch kritisiert wird, allerdings ist es – wie erwähnt – eine individuelle Frage, wie man selbst mit dieser Situation umgeht, was man Erkunden will, kennen lernen will, auf was man sich einlassen will, wie man das dann reflektiert. 

Kulturpreise: Wie sollten Stipendien Ihrer Meinung nach ausgestattet sein, was die zeitliche Länge, Ortswahl und finanzielle Ausstattung betrifft?

Achim Wagner: Ich denke, die Stipendien sind schon ganz gut aufgestellt, sie könnten natürlich insgesamt höher dotiert sein, sicher. Ansonsten aber gibt es ja sehr unterschiedliche Ausformungen, von einmonatigen Residenzaufenthalten bis zum Jahrstipendium (wie in der Villa Massimo). Auch örtlich gibt es – wie ausgeführt – die Bandbreite vom Dorfstipendium im Schwarzwald (Dorfschreiber Eisenbach) bis zur Residenz in Indien (wie das Mumbai-Stipendium der Kunststiftung NRW), dazu kommen Reisestipendien, bei denen man sich das Zielort selbst aussuchen kann, über den man, in dem man schreiben will, wo man sich selbst um die Unterbringung kümmert. insofern ist da ziemlich alles vorhanden, und das ist gut so.

Kulturpreise: In welcher Weise sollten Stipendien an Publikationen gekoppelt werden?

Achim Wagner: Meiner Meinung nach sollten Stipendien grundsätzlich nicht an eine Publikationspflicht gekoppelt sein, da das schlicht nicht nötig ist. Bewirbt sich eine Literatin, ein Literat, um ein Stipendium, dann reicht sie / er meist ein Arbeitsmanuskript ein oder zumindest eine schon deutlich umrissene Projektskizze, was ja auf Abschluss und Veröffentlichung zielt. Deshalb sollte das entscheidende Kriterium allein die literarische Qualität sein, zumal es kaum noch dauerhafte Verlagszugehörigkeiten gibt, man – überspitzt formuliert – bei Abgabe einer Bewerbung nicht weiß, ob der Verlag, der vorab ein Veröffentlichungsinteresse bekundet, dann noch der Verlag ist, bei dem das fertig gestellte Werk erscheinen wird oder kann.

Kulturpreise: Sie leben in Ankara und Berlin – ein Resultat Ihres Stipendiatenlebens?

Achim Wagner: Ja, zumindest was Ankara betrifft, ich wusste bereits zwei Monate nach Beginn meines sechsmonatigen Stipendiums im Atelier Galata in Istanbul, dass ich über die Residenzzeit hinaus in der Türkei bleiben werde; ich hatte mich bereits etwas in die mich nachfolgend immer mehr faszinierende türkische Lyrikgeschichte eingearbeitet und auch mit den Arbeiten an einem neuen Lyrikmanuskript begonnen, das „türkische“ Bezüge verhandelt; intensive Arbeiten, denen ich kein absehbares zeitliches Limit setzen wollte; auch wollte ich erleben, wie es ist, sich in diesem Land aufzuhalten, wenn ich das behütete Leben im Atelier Galata verlasse, eine Neugier, die mich schließlich auch Istanbul verlassen ließ, um eine weitere Stadt zu erkunden, die wiederum ganz andere Erfordernisse an mich stellt, die auch mein eigenes Schreiben weiter herausfordert, Istanbul war und ist ja auch ein großer literarischer Ereignisort, was man von Ankara nicht sagen kann, oder wie es die türkische Literaturwissenschaftlerin Nesrin Eruysal bei einem gemeinsamen Gespräch ausdrückte: „Gedichte über Ankara sind Pionierarbeit“. Eine Pionierarbeit, die mir sehr gut gefällt, in dieser Steppenstadt, die so gänzlich anders ist, als Istanbul, aber ebenso spannend.

Dass ich meinen deutschen Wohnsitz in 2011 nach Berlin verlegte, war wohl zwangsläufig, mir gefiel die Idee, mich in zwei besonderen Hauptstädten bewegen zu können.

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